
Deine Jahresend-Challenge: Adjektiv-Detox
Die Tage werden kürzer, das Jahr neigt sich dem Ende zu. Nutze die langen Abende, um dich von einer deiner hartnäckigsten Schreibmarotten zu verabschieden: dem übermäßigen Gebrauch von Adjektiven.
Weniger ist mehr – auch bei Adjektiven
Literaten wie Ernest Hemingway und George Orwell haben es vorgemacht: Starke Texte kommen mit wenigen, aber gezielten Adjektiven aus. Hemingway riet: „Benutze niemals ein Adjektiv, das nicht unbedingt notwendig ist.“ Der Journalist Wolf Schneider fand „Jedes weggestrichene Adjektiv ist ein Gewinn“ und Mark Twain rief gar zum Kreuzzug gegen Adjektive auf: „Wenn du ein Adjektiv findest, töte es.“ Auch die Wissenschaft bestätigt: Zu viele Adjektive können die Klarheit und Präzision eines Textes beeinträchtigen. Mehr noch, die Linguistin Stephanie Lieboldt untersuchte vor wenigen Jahren, wie Adjektive in Texten Stereotype über Männer und Frauen transportieren. Ihre Ergebnisse zeigen, wie Adjektive die Vorstellungskraft der Leser*innen beeinflussen. Vor allem Frauen wurden in den untersuchten Texten einseitig beschrieben.
Im wissenschaftlichen Text verwässern Adjektive die präzise Ausdrucksweise und sind Zeichen eines ungeübten Stils. Adjektive werden in der Wissenschaft vor allem zum zur Einordnung, Unterscheidung und Abgrenzung verwendet. In der Literatur sollen Adjektive Atmosphäre schaffen und Charaktere oder Situationen beschreiben. Gehäuft führen sie zu inhaltlicher Ungenauigkeit, Kitsch und Ballast.
Die Lösung liefern starke Verben und treffende Substantive. Beispiele gefällig? Hier sind sie: aus schnell laufen wird sprinten, der alte Mann wird zum Greis, das große Haus ist die Villa und der Satz, sie war nervös, kann nichts. Aber, sie trommelte im Staccato mit den Fingern auf der Tischplatte, macht Nervosität hörbar und spürbar.
Bevor du ins neue Jahr startest, gönn deinen Texten also eine Adjektiv-Entschlackungskur. Hier eine einfache, aber effektive Übung:
- Nimm einen deiner alten Texte (etwa 500 Wörter).
- Streiche gnadenlos jedes einzelne Adjektiv.
- Lies den Text laut vor.
- Füge nur die Adjektive wieder ein, ohne die der Text unverständlich wird.
- Du wirst überrascht sein, wie viele Adjektive tatsächlich überflüssig sind und wie klar dein Text ohne sie wirkt.
- Und wenn du jetzt noch Lust und Zeit hast: Versuche die Adjektive, die noch da sind, durch Verben und Substantive zu ersetzen.
- Und nun kannst du sicher sein, dass jeden Adjektiv, dass dein Detox überlebt hat, auch wirklich Sinn ergibit.
Gut zu wissen: Nicht alle Adjektive sind gleich
Die Wissenschaft unterscheidet zwischen stabilen und instabilen Adjektiven. Stabile Adjektive wie „verheiratet“ oder „blau“ haben eine klare, kontextunabhängige Bedeutung. Instabile Adjektive wie „begabt“ benötigen mehr Kontext. Stephanie Lieboldt zeigte, dass besonders die stabilen Adjektive wie „schön“, „sensibel“ und „erfolgreich“ Stereotype verstärken können. In der Wissenschaft sind objektive, messbare Adjektive wie „groß“ oder „kalt“ besonders stabil, während die Literatur auch mit emotionalen Adjektiven wie „fröhlich“ oder „traurig“ arbeitet. Denk daran: Adjektive sind wie Gewürze – sparsam eingesetzt verstärken sie den Geschmack, zu viele verderben das Gericht. Nutze sie so kurz wie möglich und so lang wie nötig. Mit dieser Einstellung startest du stilsicher ins neue Schreibjahr!
(Beitragsbild: Adobe Stock)